OOH-Magazin Ausgabe 2 - 2015

Ausgabe 2 2015 Kreation & Kreativität Kunst, Kultur und Kommerz im öffentlichen Raum AUSSENWERBUNG TRIFFT. DEUTSCHLAND, ÖSTERREICH, SCHWEIZ.

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3 OOH!–Auf den Punkt Powerade lädt zum öffentlichen Kräftemessen – an Workout-Billboards zum Klettern, Boxen und Gewichtestemmen. Pfiffige Out of Home-Inszenierung von Ogilvy & Mather, Berlin.

4 6 OOH!– In Kürze Ausstellung „100 beste Plakate 14“ aus D A CH Verkehrsmedienanalyse AdMotion 2.0 am Start TLC mit deutschlandweiter Kampagne auf Out of Home Eskimo mit Realtime-Advertising zum ESC Digital OOH erstmals online buchbar 16 OOH!–Aspekte Kreativität sticht! Dr. Sabine Breitwieser, Direktorin des Museums der Moderne in Salzburg, über das Zusammenspiel von Kunst und Out of Home. Mehr als bloße Werbung! Prof. Dr. Peter Zec, Initiator und CEO von Red Dot, über die Rolle von Design im kreativen Prozess. 10 OOH!–Fokus Die neue urbane Expression: Kunst und Kultur im öffentlichen Raum sind ein elementarer Antrieb zur Auseinandersetzung mit den Themen der Zeit, quasi die Aussenwerbung des gesellschaftlichen und politischen Lebens in allen Facetten. Als solche haben sie entscheidenden Einfluss auf sämtliche Formen und Entwicklungen von Kreativität – verstörend, aufregend, inspirierend. 18 OOH!–Kreation & Kreativität Deutschland Von kreativer Forschung und Entwicklung über internationale Trends bis zum Award: Kunden und Agenturen diskutieren die wichtigsten Faktoren und die Bedeutung herausragender Leistungen in der Kommunikation. PlakaDiva 2015 zeigt Out of Home auf höchstem Niveau. Raketenmann und Naturbusche – Agenturportrait Rocket & Wink.

5 OOH! Impressum Verlag Out-of-Home Research & Services GmbH Franklinstraße 62 60486 Frankfurt am Main Tel.: +49 69 719167-0 Fax: +49 69 719167-60 Geschäftsführung Jochen C. Gutzeit V.i.S.d.P. Jochen C. Gutzeit Chefredaktion Karin Winter (kaw) Tel.: +49 69 719167-40 winter@faw-ev.de Redaktion Anja von Fraunberg (AvF) Vera Günther (vg) Nadja Mühlemann (nm) Stefanie Rossner (StR) Stefan Auferbauer (Sa) Björn Berenz (bb) Helmut van Rinsum (HvR) Dr. Helmut Strutzmann (Hs) Vertrieb Jahresabonnement: Euro 39,60 inkl. Versandkosten und MwSt. Johannes Röhr Tel.: +49 69 719167-70 roehr@faw-ev.de Anzeigen Anzeigenpreise und Formate sind beim Verlag zu erfragen Grafik/Layout schoepfung GmbH, Düsseldorf www.schoepfung.de Alle Beiträge sind urheberrechtlich geschützt; die Rechte liegen beim Verlag. OOH! erscheint in inhaltlicher Kooperation von Fachverband Aussenwerbung, Out of Home Austria und APG|SGA. 28 OOH!–Kreation & Kreativität Österreich Hattrick für die Technik: Mit einer perfekten Inszenierung von „Mobilität“ gewinnt das Technische MuseumWien dreifach Gold beim Out of Home Award 2014. Zum 15. Mal hat die Gewista ihre Auszeichnung für die besten OOH-Kampagnen vergeben. 31 OOH!–Kreation & Kreativität Schweiz Über 300 geladene Gäste feierten im März die Preisträger der Swiss Poster Awards. Mit „Total Waschmittel“ gewann erstmals seit Jahren wieder eine große nationale Kampagne für ein Alltagsprodukt die höchste Auszeichnung des Wettbewerbs.

6 TLCbringt Programmversprechen auf die Straße Die Agentur Grey Berlin launcht seit Anfang Mai die große deutschlandweite Kampagne für den TV-Sender TLC von Discovery Networks Deutschland. Die Kampagne mit dem Claim „Alles echt“ läuft zunächst in Print, Out of Home und Online und bewirbt verschiedene TLC-Formate wie „Cake Boss“, „Breaking Amish“ und „Enthüllt – Jerry Springer deckt auf “. In den Motiven werden die Protagonisten in ungewöhnlichen Posen präsentiert, kontrastiert mit provokaten Headlines. Auf diese Weise soll die Kommunikation das Programmversprechen von TLC unmittelbar auf die Straße bringen: echt, ungewöhnlich und überraschend. Riesenposter in fünf großen Städten sorgen dabei für besondere Highlights, Imagespots, Trailer und weitere Maßnahmen kommen im zweiten Schritt der Kampagne ergänzend hinzu. OOH!– In Kürze Ausstellung von „100 beste Plakate 14“ aus D A CH Die Gewinner des Wettbewerbs „100 beste Plakate 14“ aus Deutschland, Österreich und der Schweiz gehen auf Tournee: Am 18. Juni wird die Auftaktausstellung mit allen Siegerplakaten im Kulturforum Potsdamer Platz der Staatlichen Museen zu Berlin eröffnet. Bis Mitte Juli sind die 100 von der Jury ausgewählten Arbeiten in Berlin zu sehen, anschließend geht die Ausstellung nach Nürnberg, Luzern undWien, weitere Orte sollen folgen. Unter den 100 besten Plakaten und Plakatserien des Jahres 2014 finden sich überwiegend Auftragsarbeiten (79), lediglich 15 entstanden im Kontext studentischer Projektaufträge und 6 als selbstinitiierte Plakate oder Eigenwerbung. 575 Einreicher hatten sich diesmal am Wettbewerb beteiligt. Wie in jedem Jahr werden die ausgezeichneten und ausgestellten Plakate auch in einem Jahrbuch veröffentlicht (Verlag Hermann Schmidt Mainz).

7 Eskimobegleitet den ESC Die Eismarke Eskimo hat ihr Engagement als nationaler Sponsor des Eurovision Song Contest (ESC) mit der größten Kampagne begleitet, die es je für ihre Klassiker Jolly, Twinni, Cornetto, Plattfuß, Twister und Calippo gab. Für hohe Aufmerksamkeit sorgte insbesondere ein umfassendes Station Branding am Wiener U-Bahnhof Stephansplatz: Über mehr als 500 Quadratmeter erstreckte sich die werbliche Inszenierung mit flächendeckender Folierung und Nutzung aller 109 digitalen Screens. „Ciao Alltag“ lautete der Claim der voll vernetzten Kampagne, die in den digitalen Medien als Real-Time-Advertising-Projekt unmittelbar auf tagesaktuelle Ereignisse reagierte. Offline wurden unter anderem klassische Citylights in ganz Wien mit den Sujets belegt. Premium-Positionierung durch ausdrucksstarke Plakate Ende März ist in Hamburg und Schleswig-Holstein eine neue Plakatkampagne für die Biermarke Duckstein gestartet, die den Anspruch des Besonderen dieses Bieres verdeutlichen soll. Die Agentur Philipp und Keuntje entwickelte dafür drei Motive, die auf die Darstellung typischer Verwendungssituationen verzichten und sich stattdessen ganz auf das Gefühl des Genusses von Duckstein konzentrieren – „Wolke“, „Bernstein“ und „Hopfen“ schaffen eine ausdrucksstarke Atmosphäre. Mit dem Claim „Duckstein. Jenseits des Gewöhnlichen“ sollen Vorreiterrolle, Premium-Profil und die ebenfalls außergewöhnliche Ausstattung des Craft-Biers mit Individualflasche und 8er-Kasten unterstrichen werden. Neben dem Duckstein-Original werden auch die neuen Sorten Bernstein Märzen und Opal Pilsener im Rahmen der Plakatkampagne vorgestellt. Die Marke Duckstein kommt aus dem Haus Carlsberg Deutschland. OOH!– In Kürze

8 Digital OOH erstmals online buchbar Die Koblenzer Agentur contrast MEDIA SERVICE gründet mit doohmakers.de den ersten deutschen Online-Shop für Digital Out of Home-Produkte (DOOH) und fasst hier anbieterübergreifend sämtliche digitalen Mediennetze zusammen. Damit ermöglicht doohmakers.de erstmals die Online-Buchung von DOOH-Kampagnen. Zum Launch sind bereits 100.000 Screens an unterschiedlichen Touchpoints buchbar – unter anderem in Shopping-Centern, Supermärkten sowie Tank- und Raststätten. Das Portal doohmakers.de stellt sich der Aufgabe, aus der Vielfalt der digitalen Welt eine übersichtliche Buchungsplattform zu schaffen, die es jedem mit nur wenigen Klicks gestattet, sein präferiertes DOOH-Netz buchen zu können. Im Online-Geschäft ist die contrast MEDIA SERVICE keine unbekannte Größe: Mit Plakat-verkauft.de hat das Unternehmen bereits vor vier Jahren einen Online-Shop für 18/1-Plakate gegründet, der sich mittlerweile zu einem starken Vertriebsarm der Agentur entwickelt hat. Verkehrsmedienanalyse AdMotion 2.0 am Start Der Fachverband Aussenwerbung (FAW) weitet die Reichweitenstudien für Out of Home-Medien aus: Mit der neuen Verkehrsmedienanalyse AdMotion 2.0 können Werbekunden und Agenturen erstmals komplexe Planungen in der Verkehrsmittelwerbung städte- und medienübergreifend vornehmen, auf der Basis ebenso valider wie aktueller und vor allem kompatibler Leistungsdaten. Erklärtes Ziel der neuen Verkehrsmedienanalyse ist es, die Leistungswerte für Busse, Straßen-, Stadt- und U-Bahnen analog der am Markt seit Jahren etablierten ma Plakat auszuweisen. Diese Leistungsdaten für die Werbung auf Bussen und Bahnen macht der FAW durch das begleitende Online-Planungstool AdMotion 2.0 sofort für konkrete Kampagnenplanungen nutzbar. Unter www.admotion.de kann jeder Interessent nach einmaliger Registrierung kostenfrei eigene Planungen und Zählungen durchführen – Kurzanleitung, Lernvideos und eine detaillierte Methodenbeschreibung erleichtern hier den Einstieg ebenso wie ein Planungsassistent. AdMotion 2.0 erlaubt die Auswahl nach Belegungsgebieten, Ortsgrößenklassen, Laufzeiten, Verkehrsarten und Werbeformen; dazu gibt das Tool Auskunft über die Anzahl der Pendlerkontakte. Ein besonderes Plus ist die Kartenfunktion, mit der erstmals die grafische Darstellung und Aussteuerung einer ausgewählten Belegung in den damit abgedeckten Gebieten möglich ist. Die Ergebnisse einer Planung werden nach belegtem Gebiet und Deutschland gesamt unterschieden und ausgewiesen, jeweils in Form von Kosten, gewichteten Fällen und Grundgesamtheit sowie Reichweite, Kontakten, GRP, TKP und OTS. OOH! – In Kürze 10 Jahre Plakatunion 30 Partnerunternehmen, eine Bandbreite von mehr als 28.000 Werbeflächen in über 3.000 Städten bundesweit und damit eine Reichweite von rund 70 Prozent der Gesamtbevölkerung. So lautet die Bilanz der Plakatunion zehn Jahre nach ihrer Gründung. Ende 2004 schlossen sich zunächst zwölf mittelständische Unternehmen der Aussenwerbung zusammen, um der zunehmenden Konzentration im deutschen OOH-Markt mit einer gemeinsamen Vermarktungsgesellschaft zu begegnen. Nutzung von Synergien und der Ausbau der eigenen Kompetenz, Fokussierung auf die klassischen Out of Home-Medien und ein konsequenter Ausbau des nationalen Angebots haben die ehemaligen Wettbewerber zu einem Big Player im Markt gemacht. Geschäftsführer Andreas Paul: „Auch in Zukunft gilt es, das Portfolio nah am Bedarf der Werbewirtschaft auszubauen.“

9 OOH!– In Kürze Ikeamacht die Städte grün Mit einer ganzen Reihe von Out of Home-Specials haben die Agenturen thjnk, MediaCom und Kinetic gemeinsam das Outdoor-Segment von Ikea in Szene gesetzt. „Mach doch mal grün“ lautete die Botschaft, die das Möbelhaus im April unter anderem in Form von Moos-Stencils auf Brandwänden, Blumen an einem hochfrequentierten Town-Fence und Gartenmöbeln vor Großflächen in die Öffentlichkeit brachte. Die außergewöhnlichen Inszenierungen wurden deutschlandweit von klassischen CLP-Flights und Großflächen begleitet, dazu rundeten Superposter, Riesenposter und Digital Out of Home den Auftritt ab. Street Art für Democratic Design Den Start der „Ikea Art Event 2015“-Kollektion mit Street Art-Postermotiven hat die Digitalagentur Razorfish Anfang Mai zum Anlass genommen, um das bekannte Ikea-Design neu zu interpretieren. Dazu wurde ein Ikea-Einrichtungshaus mit einem überdimensionalen Street Art-Kunstwerk verziert. In vier Tagen und Nächten gestaltete der bekannte Street-Artist M-City die rund 600 Quadratmeter große Fassade von Ikea in Berlin-Tempelhof um. Per Social Media konnte die Aktion exklusiv verfolgt werden. Ikea sieht in der weltweit bislang einmaligen Initiative die konsequente Verwirklichung der Unternehmensphilosophie von „Democratic Design“: „Street Art ist die demokratischste Formder Kunst, denn sie schließt niemanden aus“, so Christian Möhring, Web and Digital Manager bei Ikea Deutschland.

10 OOH!–Fokus

11 OOH!–Fokus verstörend, aufregend, inspirierend. Kunst und Kultur im öffentlichen Raum Kunst und Kultur im öffentlichen Raum sind ein elementarer Antrieb zur Auseinandersetzung mit den Themen der Zeit, quasi die Aussenwerbung des gesellschaftlichen und politischen Lebens. Als solche haben sie entscheidenden Einfluss auf sämtliche Formen und Entwicklungen von Kreativität.

12 OOH!–Fokus Fanal gegen die Gier: Der goldene Münzspucker mahnt direkt vor der Zentrale der Österreichischen Sparkasse.

13 OOH!–Fokus Beispiel Frankfurt: Das virtuelle Museum Das Frankfurter Städel-Museum hat anlässlich seines 200 Jahre-Jubiläums nicht nur neue plakative, digitale Dimensionen für das Museum erschlossen, es nutzt auch die Flächen im öffentlichen Raum als digitale Wegweiser. „Die zunehmende Digitalisierung unserer Lebenswelt betrifft auch vermeintlich analoge kulturelle Inhalte, wie ein 500 Jahre altes Dürer-Gemälde oder eine Zeichnung von Henri Matisse. Museen werden in gleichemMaße mit den enormen Veränderungen in fast allen Lebensbereichen konfrontiert, die unseren Umgang mit Information, Bildung und Kultur grundsätzlich neu definieren. Wenn wir das Potenzial der voranschreitenden digitalen Entwicklung richtig nutzen und es uns gelingt, daraus ein echtes, alternatives Angebot zu entwickeln, bereiten wir den Weg für die Zukunft der Institution und die nächsten 200 Jahre des Städel Museums“, erklärt Städel-Direktor Max Hollein. KÖR: Kunst-Initiative der Stadt Wien KÖR – Kunst im öffentlichen Raum – ist eine Aktion der Stadt Wien, die zeitgenössische Interventionen im öffentlichen Raum fördern will. Die Initiative ging ursprünglich von der Plakatwirtschaft aus, die mit der „Open Gallery“ am Spittelberg und in der Litfaßstraße die erste öffentliche Auseinandersetzung von Kunst und Stadt inszenierte. Seitdem hat die Out of Home-Wirtschaft in Zusammenarbeit mit der Stadt zahlreiche Kunstaktionen initiiert, gesponsert und angeregt. So hat der Künstler Axel Stockburger eine goldene Litfaßsäule auf den Graben in Wien direkt vor die Zentrale der Österreichischen Sparkasse aufgestellt, als Kontrapunkt zur Scheinwelt der Finanzwelt – und als permanenter Hinweis auf die Gier der Menschen. Computergesteuert spuckt die Säule regelmäßig Münzen ins Gedränge. „SKYunlimited“ nennt sich eine ironische Inszenierung zu „urban farming“, mit dem Pony „Struppi“ auf dem Dach eines begrünten Gemeindebaus und unterschiedlichen Installationen von Kunstobjekten im Bau selbst. Kunst als Alltag und seine Entfremdung. Als „Aspern Affairs“ präsentiert Stephan Huber seine Kunst in der Wiener U-Bahnlinie U2. Zwei riesige Landkarten an den Stationsfenstern verweisen mit Lebenslinien auf das Wiener Bauprojekt Seestadt Aspern: Innerhalb von zehn Jahren wird eine Stadt in der Stadt mit 30.000 Einwohnern aus dem grünen Boden gestampft, die ersten leben schon dort und können ihren Lebensentwurf bei der Fahrt mit der U2 studieren. Die neue urbane Expression: Interventionen, Irritationen und Diskurs im öffentlichen Raum werden in jüngerer Zeit bewusst gefördert, von Städten, Einrichtungen und Unternehmen überall in Europa. Ganz vorne dabei ist die Stadt Wien mit ihrer Initiative KÖR – Kunst im öffentlichen Raum. Zahlreiche Projekte holen Kunst und Kultur regelmäßig in den Alltag der Menschen. Der britische Streetart-Künstler Banksy ist weltweit bekannt. Überall hinterlässt er in der Öffentlichkeit mit seinen Schablonen-Graffiti kritische, bildhafte Spuren, um eine alternative Sichtweise auf politische und wirtschaftliche Themen zu bieten. Die er dann auch mal ungefragt in Museen zeigt: 2005 tauchte zum Beispiel ein Banksy-Bild im British Museum auf, als Höhlenmalerei von einem jagenden Menschen mit Einkaufwagen. Den organisierten Kunstbetrieb lehnt der internationale Top-Star ab, mehrfach hat er das Geschäft von Galerien mit eigenen Ausstellungen in Lagerhallen konterkariert, einmal seine zu Millionenpreisen gehandelten Bilder auf einer Auktion zu Schnäppchenpreisen verscherbelt. 2010 führte ihn das „Time Magazine“ auf seiner Liste der 100 einflussreichsten Menschen der Welt. Kunst im öffentlichen Raum ist ein uraltes Phänomen. Schon die vortestamentarischen Herrscher ließen sich mit Statuen bewundern, die Cheops-Pyramide und andere Kultstätten sind nichts anderes als Kunst im öffentlichen Raum: Mitteilungen an die Untertanen, plakative Botschaften von Macht und Einfluss. Bis heute hat der öffentliche Raum als größtmögliche Bühne und Plattform für Kunst nichts von seiner Bedeutung verloren. Jetzt aber geht es, wie auch das Beispiel Banksy zeigt, nicht mehr umDemonstrationen der Macht von oben – es geht um Anregungen zum Diskurs, zur Auseinandersetzung mit den Themen der Zeit durch jeden Einzelnen. Kunst im öffentlichen Raum als neue urbane Expression, die von Städten, Einrichtungen und Unternehmen gefördert wird. Kunst, Kommerz und angewandte Kreativität Die Stadt Münster schreibt alle 10 Jahre einen internationalen Skulptur- Preis aus: Heute ist Münster eines der bedeutendsten Skulptur-Museen im öffentlichen Raum. 2007 fand die vierte Auflage des „Skulptur Projekt Münster“ statt, das seit 1977 veranstaltet wird. Zu den Preisträgern zählen unter anderen Claes Oldenburg, Joseph Beuys, Ulrich Rückriem, Ludger Gerdes, Rebecca Horn, Rémy Zaugg, Keith Haring, Jorge Pardo, Huang Yong Ping, Bruce Nauman, Martin Boyce und viele andere mehr. In Berlin hat der US-amerikanische Architekt Daniel Lieberman mit demHolocaust-Mahnmal ein Denkmal geschaffen, das von Millionen von geschichtsinteressierten Touristen jährlich besucht wird. Die bunten, an Pop-Werbung erinnernden Skulpturen von Niki de St. Phalle stehen in dutzenden von Parks in ganz Europa, hunderte Unternehmen haben Kunst im öffentlichen Raum als lukratives Sponsorenfeld entdeckt. Kunst, Kommerz und angewandte Kreativität verschmelzen miteinander. Mitunter wird die Öffentlichkeit selbst zum Thema. In Zürich zeigt die dritte Ausstellung von Tableau Zurich neue Werke des Schweizer Künstlers Beat Streuli. Zu sehen sind Bilder von Passanten im pulsierenden Alltag der Großstadt, welche alle in einer Straße und an einem Tag entstanden sind. Tableau Zurich befindet sich in unmittelbarer Nähe von Bellevue, Bahnhof Stadelhofen und Kunsthaus Zürich. Grünanlage in luftiger Höhe – ironische Inszenierung von „urban farming“, lebendes Pony inklusive.

14 OOH!–Fokus An Verfolgung und Hass in Wien erinnert „wien project space“ der Kunsthalle Wien mit der „Entschriftung des öffentlichen Raums“: Die Schaufenster eines Shoppinghauses wurden mit gelben Plakaten zugeklebt, dazu der Hinweis „Mit sofortiger Wirkung geschlossen.“ Mit der NS-Vergangenheit beschäftigt sich auch „Der größte gemeinsame Teiler“ von Lia Sáile, eine Mauer im freien Platz. Nachdem die Aufstellung amMorzinplatz, Standort der ehemaligen NS-Zentrale, verboten wurde, mahnt sie auf dem Museumsplatz. Mit der regelmäßigen Verhüllung des Wiener Ringturms leistet die Wiener Städtische einen Beitrag zu Kunst im öffentlichen Raum. Namhafte österreichische und internationale Künstler wurden seit 2006 mit diesem Projekt beauftragt. 2014 wurde der Turm mit dem Werk „Schleier der Agnes“ von Arnulf Rainer verkleidet. Interventionen im öffentlichen Raum Ebenso wie Installationen spielen klassische Plakatmedien von jeher eine große Rolle bei der Inszenierung von Kunst im öffentlichen Raum. Unter dem Motto „Zeit für ein Zitat“ werden bereits seit 1983 jährlich tausende von Plakaten mit zeitgenössischer Lyrik und Aphoristik affichiert, auf Initiative des damaligen Kulturstadtrats und späteren Wiener Bürgermeisters Helmut Zilk. Im Jahr 2005 wurde die Aktion erfolgreich auch in den CEE-Hauptstädten durchgeführt. Seit Beginn von „Zeit für ein Zitat“ hat Wien mehr als 250 unterschiedliche Gedichte von AutorInnen des 20. Jahrhunderts in der Öffentlichkeit plakatiert gesehen und damit eine Form der kontinuierlichen Literaturförderung erlebt, wie sie nirgendwo anders erfolgt. Auch „Paint The Town Red“ arbeitet mit dem Medium Plakat. Im Rahmen dieser Kunstaktion von Otto Mittmannsgruber im Juli 2011 verdecken dicke rote Pinselstriche die Werbeinhalte auf 500 Plakatstellen. An den Seiten der Plakate bleiben Teile der ursprünglichen Werbebotschaften erhalten, der Hauptteil „erblindet“ durch die rote Farbe. Nach zwei Wochen sorgt eine zweite Plakatierungswelle für neuerliche Aufmerksamkeit: Eine Figur in Latzhosen erscheint auf den roten Flächen – mit einem Schwamm einen kleinen Teil der übermalten Bildfläche freilegend. Der lebensgroße „Plakatputzer“, der mit der Wiederherstellung der gewohnten Ordnung beschäftigt ist, bringt einen heiteren und ironischen Kommentar ins Projekt ein. Mit dem Werk „3 Brothers“ des brasilianischen Künstlers Speto schließt sich in Wien der Bogen zu Banksy. Speto, einer der renommiertesten Streetart-Künstler Südamerikas, schuf mit „3 Brothers“ eine Hommage an die Gebrüder Villas Bôas sowie die Erzählkulturen der indigenen Bevölkerung Brasiliens. Sein Beitrag vervollständigt das internationale Street-Art Projekt entlang der U-Bahn-Trasse im Viertel Zwei. Stefan Auferbauer / Helmut Strutzmann „Mit sofortiger Wirkung geschlossen“: Zugeklebte Schaufenster und Plakate erinnern an politisch bedrückende Zeiten. Öffentliche Literaturförderung: In Wien werden jährlich tausende Plakate mit Lyrik und Aphoristik affichiert.

15 open daily OOH!–Fokus Für Kulturwerbung gibt es in Österreich eigene OOH-Netze. Hohe Symbolkraft: Das KHM lädt zum Museumsbesuch. Out of Home sells Art Rekordbesucherzahlen bei der Velazquez-Ausstellung im Kunsthistorischen Museum, Massenandrang bei der Eröffnung des erweiterten Städel Museums in Frankfurt: Museen und Ausstellungen verzeichnen regelmäßig mehr Besucher als Fußballstadien. Die Kultur setzt immer stärker und häufiger auf Out of Home zur Mobilisierung der Bevölkerung, zum Nutzen beider Seiten. Kulturwerbung auf Out of Home-Medien ist ein häufig unterschätztes Geschäftsfeld. Nicht so in Österreich: Hier haben die Out of Home-Unternehmen in Wien, Salzburg, Graz, Linz und Innsbruck bereits vor Jahren eigene Kulturnetze geschaffen und damit die Wildplakatierung eingedämmt, in Wien beispielsweise durch die Gründung der kultur:PLAKAT GmbH. Ein Modell, das sich für die Beteiligten rechnet. Auf Kulturwerbung entfällt heute ein zweistelliger Anteil am Gesamtumsatz der Aussenwerbung. Neben Plakaten, Litfaßsäulen und immer häufiger auch City Lights werden dabei auch spezielle Werbeformen für Kleinveranstalter und experimentelle Gruppen angeboten, auf sogenannten „Linsen“, attraktiven Kleinformaten. Es gibt keine große Ausstellung, kein Konzert oder sonstiges Event, das nicht breit am Plakat beworben würde. Zumeist mit herausragenden, kunstbezogenen Sujets – Kant, Kokoschka und Liechtenstein, selbst ein renommierter Kommerzplakatgestalter, als Eyecatcher auf der Straße. Für die Ausstellungsmacher ist Out of Home fester Bestandteil ihres Marketing- und Werbebudgets. „Wir sind bei allen großen Kampagnen im Out of Home-Netz vertreten, da wir hiermit sowohl das lokale Publikum als auch Touristen erreichen“, sagt Dr. Gabriele Zuna-Kratky, Direktorin des Technischen Museums Wien. „Unsere altersmäßig sehr breit gestreute Zielgruppe ist über Out of Home perfekt anzusprechen.“ Mag. Florian Pollack, Leiter Kommunikation und Marketing im Kunsthistorischen Museum Wien, bestätigt: „Bei stichprobenartigen Gesprächen mit Besuchern kommt als Besuchsgrund immer wieder das Plakat“. Interview mit Dr. Gabriele Zuna-Kratky und Mag. Florian Pollack zur Bedeutung von Out of Home-Medien für die Kulturwerbung.

16 Es gibt wahrscheinlich kein anderes Werbemedium als Out of Home, bei dem plakative Kreativität eine derartig große Rolle spielt. TVSpots und die klassischen Schienenbauanzeigen können konventionell, bieder, brav sein. Der Werbedruck allein zählt. Bei Out of Home ist es anders. Kreativität sticht. Sie macht jenen besonderen Reiz aus, den Out of Home beim Betrachter erzielt: Schock, Erregung, Irritation, Mobilisierung. Oder einfach nur spontane Lust. Out of Home hat eigene Gesetze: Die Größe der Sujets, die Mobilität in der Betrachtung, die unterschiedlichen Bewegungsgruppen, die Plakate besehen. Ein Flaneur sieht anders als ein Autofahrer. Wir haben die Erfahrung gemacht: Out of Home ist für die meisten Creatives eine lockende und verlockende Herausforderung, wenn sie sich näher damit beschäftigt haben, wenn sie öffentlich durch die Stadt fahren und Out of Home aus einem anderen Blickwinkel betrachten. Deshalb sind wir bemüht, mit den Kreativen in den Agenturen, den Creativ- und Design-Studios ins Gespräch und „in Fahrt“ zu kommen, Tools und Skills für ihre Arbeit zur Verfügung zu stellen. Wir wollen vermitteln, was eine starke Out of Home-Kampagne bewirken kann: an öffentlichem Diskurs, an Skandalen, aber auch an Absatzsteigerungen und Imageoptimierungen für ein Projekt. Out of Home kann rasch wie kein anderes Massenmedium Bekanntschaft vermitteln, eine Marke wieder aufladen und neu dramatisieren, positionieren. Noch etwas: Plakat hat gemeinsame Wurzeln mit der Kunst. Die revolutionären Künstler des 19. Jahrhunderts, die mit den Traditionen brachen, Licht und Expression suchten, haben das Plakat für sich entdeckt: als Werbemedium für ihre Ausstellungen, die von der herrschenden Elite boykottiert wurden, gleichzeitig als autochthones Ausdrucksmittel, als Kunst im öffentlichen Raum. Aus dieser engen Verbindung ist ein neues Medium entstanden. Bis heute beschäftigen sich bildende Künstler auch mit kommerzieller Plakatwerbung oder zitieren, verfremden sie und spielen mit ihr. Nicht nur Andy Warhol, auch Wolfgang Richter, VALIE EXPORT, Neo Rauch oder Arnulf Rainer haben immer wieder Plakatkampagnen gestaltet. Kreativität und Out of Home – das wird gerade im digitalen Zeitalter neue Herausforderungen mit sich bringen. Bewegtbild auf bewegten Flächen für bewegte Menschen erfordert neue Ästhetiken und neue Techniken. Anbieter und Umsetzer müssen in den direkten Dialog zueinander finden. Dr. Sabine Breitwieser, Direktorin Museum der Moderne, Salzburg OOH!–Aspekte Out of Home ist Reduktion

17 Ausschlaggebend hierfür ist das richtige Verständnis von und für Design. Denn funktionierendes Kommunikationsdesign kann letztendlich der ausschlaggebende Faktor sein, der den Konsumenten dazu motiviert, ein Produkt auch zu kaufen. Über den Tellerrand zu schauen ist daher nicht nur wichtig im kreativen Prozess, es fördert ihn auch. Nur der konstante Austausch in und mit verschiedenen Design-Branchen führt zu außergewöhnlichen Ideen. Der Lifestyle oder die Philosophie, die durch Kommunikationsdesign vermittelt wird, ist dabei enorm vielfältig: klassische Werbung unterstreicht bestimmte Aspekte eines Produkts oder Unternehmens und wird damit zu einem emotionalen Verkaufsförderer. Durch Apps kann der Konsument direkt interagieren und mit der Produktwelt in Kontakt treten, während gutes Packaging Design die Vorzüge eines Produktes durch den Gebrauch bestimmter Materialien bewirbt. Cleveres Kommunikationsdesign unterstützt das Produkt und weckt denWunsch im potenziellen Käufer, Teil werden zu wollen von jener Welt, die das Produkt repräsentiert. Den einen richtigen Weg dafür gibt es nicht. Manchmal ist es daher sinnvoll, den sicheren Kurs zu verlassen und den Mut zu haben, Neues auszuprobieren. Natürlich immer unter demAspekt, dass die Kreation zu der Geschichte passt, die die Marke erzählen will. Design muss daher als Einheit betrachtet und verstanden werden, die Qualitätsprodukte und die kreativen Ideen, um diese zu kommunizieren, verbindet. Aus diesem Blickwinkel ist Kommunikationsdesign wesentlich mehr als bloße Werbung. Es ist der rote Faden, der das Unternehmen, die Markenidentität und das Produkt verbindet. Im Zeitalter von Online-Werbung, E-Commerce und Social Media-Marketing ist gutes Design mehr denn je das Fundament für überzeugende Werbung. Eine zielgruppengerechte und auch medienspezifische Kommunikation ist für alle, die sich als Marke dauerhaft im wettkampfintensiven Markt etablieren wollen, vomGroßunternehmen bis zum Startup, unabdingbar. Nur wem es gelingt, sich durch starke Botschaften, außergewöhnliche Kampagnen und innovative visuelle Umsetzungen von der Konkurrenz abzugrenzen, kann den Anforderungen von Industrie auf der einen Seite und den Bedürfnissen der Käufer auf der anderen gerecht werden. OOH!–Aspekte Kommunikationsdesign – mehr als bloße Werbung Professor Dr. Peter Zec, Initiator und CEO von Red Dot

18 »Awards bewerten die eingereichten Beiträge nur in Relation zueinander.« Uwe Hellmann, Leiter Brand Management bei der Commerzbank Mediaschaltung realisiert – nur das Ziel haben, beim Award zu brillieren. Ausschließen will das selbst Richard Jung nicht. Der Professor für Kommunikationsdesign und Corporate Identity an der Hochschule Niederrhein ist ADC Juror und war früher Geschäftsführer von Scholz & Friends. Er glaubt: „Die Wahrheit liegt irgendwo dazwischen. ADC Jurymitglieder sind aufgrund der jahrelangen Diskussion jedenfalls sensibilisiert für das Thema.“ Awards geben eine erste Orientierungshilfe Christian Hahn, Vice President Marketing Communications Strategy &Media bei der Deutschen Telekom, bewahrt kritische Distanz. „Der überwiegende Anteil besteht sicher aus realen Arbeiten. Das heißt aber nicht, dass mich diese echten Arbeiten mehr überzeugen. Aber Zombie-Kreationen, die niemals das Licht der Welt erblickt haben, sondern lediglich das der Award-Scheinwerfer, interessieren mich noch weniger.“ Letztlich sind aber Award-Auszeichnungen oder die daraus resultierenden Kreativrankings für ihn ohnehin nicht entscheidend, wenn es um die Agenturauswahl geht. Auch für Uwe Hellmann, Leiter Brand Management bei der Commerzbank, spielen Awards bei der Wahl des Dienstleisters eher Erst vor kurzem war es wieder Zeit für das renommierteste Werber-Event Deutschlands: Zwischen dem 19. und dem 23. Mai traf sich die heimische Kreativelite zum ADC Festival. Wichtig ist das Event vor allen Dingen wegen der begehrten ADC Nägel. Errungene Trophäen machen sich schließlich nicht nur in den Glasschränken der Kreativschmieden gut, sie helfen – so die einschlägige Meinung – auch bei der Jagd nach neuen Etats. „Gute Kreation zahlt sich aus – ob bei Awardshows oder beim Neugeschäft“, meint etwa Martin Breuer. Der Executive Creative Director bei Havas Worldwide ist überzeugt: „Für Werbungtreibende ist das kreative Produkt einer Agentur ein wichtiges Auswahlkriterium.“ Für Stephan Vogel, Chief Creative Officer bei Ogilvy & Mather Deutschland und amtierender ADC Präsident, ist die Rechnung offensichtlich: „Nennen Sie mir eine Agentur, die keine Awards gewinnt, aber dauernd großartige neue Kreation draußen hat. Wer gewinnt, ist auch gefragt.“ So mancher Kritiker bemängelt allerdings, dass die Beiträge zu derartigen Wettbewerben zu einem Gutteil aus so genannten Zombie-Kreationen bestehen. Bewerbungen also, die nicht auf einem echten Kundenbriefing entstanden sind, sondern – mit geringster Kreative Forschung und Entwicklung Awards fördern die Kreation und helfen bei der Kundenakquise, glauben die Agenturen. Sie investieren Mühe, Zeit und vor allem Geld in die Teilnahme an nationalen und internationalen Wettbewerben um sich gegenüber Markt und Kunden zu profilieren. Deren Einstellung zu dieser Form der Empfehlung reicht von kritischer Distanz bis zu offener Bestätigung. OOH!–Kreation & Kreativität Deutschland »Awards sprechen für die kreative Kompetenz einer Agentur.« Natanael Sijanta, Director Marketing Communications bei Mercedes Benz Cars

19 investiert selbst viel in diese „Forschung und Entwicklung“. Das hauseigene Programm „Search of Creative“ fordert die Stamm-Agenturen dazu auf, freie Kreationen für vorgegebene Themen zu erarbeiten. Die laufen dann zwar abseits der vorgegebenen Kampagnenpfade, „aber jede Arbeit, die wir bei Wettbewerben einreichen, ist von uns gewollt. So sind großartige Ideen wie unsere TV-Spots ,Invisible Drive‘ für die B-Klasse mit Brennstoffzelle und ,Chicken‘ für das innovative System Magic Body Control entstanden“, bricht Sijanta eine Lanze für die Kreativität. Auszeichnungen sind aber auch für ihn nicht das Maß aller Dinge bei der Auswahl von Agenturen. „Wenn eine Agentur jedoch viele, vorzugsweise internationale Awards gewinnt, spricht das sicherlich für ihre kreative Kompetenz“, so Sijanta. Vera Günther Ausführliche Antworten aller OOH!-Interviewpartner eine untergeordnete Rolle. „In der Regel sind sie nicht ausschlaggebend für eine Beauftragung.“ Awards geben ihm allerdings eine erste Orientierungshilfe im Hinblick auf die Agentur-Performance. Dass Wettbewerbe grundsätzlich Treiber für Kreativität sind, glaubt der Commerzbank-Marketer jedoch nicht. Sein pragmatisches Urteil: „Eigentlich bewerten derartige Veranstaltungen nur die eingegangenen Beiträge in Relation zueinander.“ ADC Präsident Vogel hingegen ist überzeugt, dass Preise insgesamt die Kreativität fördern: „Wenn es keine Olympischen Spiele gäbe, würde dann jemand die 100 Meter unter 10 Sekunden laufen? Indem wir hervorragende Kommunikation auszeichnen, machen wir kreative Qualität sichtbar. Das sind Referenzen, über die in der Branche diskutiert wird, die dann oft Nachahmer finden.“ Zumindest bei Mercedes Benz in Stuttgart findet diese Einschätzung Anklang. „Awards sind wichtig. Wir betrachten sie als kreative Forschung und Entwicklung“, sagt Natanael Sijanta, Director Marketing Communications Mercedes-Benz Cars. Der Stuttgarter Autobauer OOH!–Kreation & Kreativität Deutschland »Award-Auszeichnungen sind nicht entscheidend, wenn es um die Agenturauswahl geht.« Christian Hahn, Vice President Marketing Communications Strategy & Media bei der Deutschen Telekom »Gute Kreation zahlt sich aus.« Martin Breuer, Executive Creative Director bei Havas Worldwide »Die Auszeichnung hervorragender Kommunikation macht kreative Qualität sichtbar.« Stephan Vogel, Chief Creative Officer bei Ogilvy & Mather Deutschland, ADC Präsident

20 OOH!–Kreation & Kreativität Deutschland Bei Einreichungen unterscheidet Richard Jung zwischen Tagesgeschäft und Prototypen. Dass Awards gut für die Kreativität und das Neugeschäft der Agenturen ist, davon ist der ADC Juror und Professor für Kommunikationsdesign und Corporate Identity überzeugt. OOH!: Viele bezeichnen Award-Shows als Nabelschau der Agenturen. Fördern sie dennoch die Kreativität insgesamt? JUNG: Ja! Die Messlatten werden definiert. Es wird gezeigt, wo der Hammer aktuell hängt. Idealer Weise wird der, wie bei sportlichen Meisterschaften auch, Jahr für Jahr höher gehängt. Wichtig dabei ist, wer die Einreichungen bewertet. Im Gegensatz zu renommierten Profis orientiert sich das Publikum an dem, was es kennt, amMainstream, und der ist das Gegenteil von kreativen Ideen bzw. überraschenden, überzeugenden Problemlösungen. Das gilt übrigens auch für so manchen Auftraggeber. Neue Maßstäbe werden so nicht gesetzt, die Messlatte bleibt niedrig. OOH!: Oft hört man den Vorwurf, dass Award-Einreichungen nur für die Wettbewerbe gemacht werden. Aus Ihrer Erfahrung als Jurymitglied und ehemaliger Agentur-Chef – Ist der Vorwurf gerechtfertigt? JUNG: Jain. Es gibt zwei Lager in der Kreativwirtschaft, zum einen die „Tagesgeschäft-Fraktion“, die Arbeiten, welche Agenturen neben den herkömmlichen Aufträgen auf eigene Rechnung produzieren, kategorisch ablehnt. Und zum anderen die „Prototypen-Fraktion“, die den Standpunkt vertritt: „Herausragende kreative und damit meist innovative Arbeiten können nicht im Tagesgeschäft entstehen!“. Die Wahrheit liegt irgendwo dazwischen. ADC Jurymitglieder sind aufgrund der jahrelangen Diskussion jedenfalls sensibilisiert für das Thema. Die 14köpfigen Jurys bewerten und diskutieren sehr kritisch. Ein Blick auf die Auszeichnungen der vergangenen Jahre beweist, dass den Juroren eine ausgewogene Mischung gelungen ist. OOH!: Das ADC Kreativranking berücksichtigt nur fünf Wettbewerbe; im Gegensatz dazu berücksichtigen Rankings wie der Gunn Report oder Big Won zahllose Wettbewerbe. Sind diese damit nicht repräsentativer? JUNG: Kaum eine andere Branche hat eine vergleichbare Anzahl an angesehenen Wettbewerben. Vielleicht liegt es daran, dass die Schöpfer kommerzieller kreativer Arbeit meist imHintergrund agieren und die Anerkennung fehlt? Ein weiterer Treiber sind die Kreativ-Geld schießt Tore Rankings, denen sich keine Agentur, die sich über ihre kreative Leistung auf demMarkt positioniert, entziehen kann. Wie auch immer – Tatsache ist: Kreative Awardshows boomen seit Jahren und sind für die meisten Veranstalter ein gutes Geschäft mit stattlichen Umsätzen. Für die meisten Agenturen, Verlage oder Designbüros jedoch ist die alljährliche Kreativ-Wettbewerbstournee nicht mehr zu bezahlen. Die Folge: Je mehr Geld zur Verfügung steht, desto mehr Einreichungen, desto mehr Auszeichnungen, desto mehr Punkte, desto kreativer – Geld schießt Tore. Die Initiative bzw. das Ranking des ADC hat das Ziel diesem finanziellen und organisatorischen Wahnsinn ein Ende zu bereiten. OOH!: Wie stark fließen solche Rankings Ihrer Erfahrung nach ein, wenn Unternehmen neue Agenturen auswählen? JUNG: Auch hier gibt es zwei Lager: Die eine lehnen Rankings kategorisch ab, die anderen orientieren sich daran. Tatsache ist: Rankings haben in unserer komplexer und damit unübersichtlicher gewordenen Welt Orientierungsfunktion und bekommen damit zunehmende Bedeutung. Und Tatsache ist auch: Kreativität ist essenziell, wenn es um die wichtigste Ressource der Mediengesellschaft geht: Aufmerksamkeit. OOH!: Und wie wirkt sich ein Award-Gewinn Ihrer Erfahrung nach für Agenturen aus, wenn es um die Akquise neuer Kunden geht? JUNG: Wer einen renommierten Award gewinnt, hat nachweislich und von Experten testiert herausragende Arbeit geleistet und differenziert sich im Wettbewerb von denen, die keine gewinnen, oder von denen, die – aus welchen Gründen auch immer – nicht mitmachen wollen. Im Prinzip ist der Award-Gewinn nichts anderes als eine Zertifizierung, die Unternehmen anderer Branchen oft und gerne als Akquise-Argument nutzen. Kreativ-Awards gehen sogar noch einen Schritt weiter, denn imUnterschied zu den gängigen ISO-, DIN-, TÜV-, etc. Zertifizierungen wird nicht nur der Standard, also das allgemeine Qualitätsniveau bescheinigt, sondern herausragende Qualität. Interview: Vera Günther »Kreativität ist essenziell, wenn es um die wichtigste Ressource der Mediengesellschaft geht: Aufmerksamkeit.« Richard Jung, Professor für Kommunikationsdesign und Corporate Identity, Hochschule Niederrhein

21 OOH!–Kreation & Kreativität Deutschland 10 Awards für die besten Out of Home-Kampagnen des vergangenen Jahres: Auf der Preisverleihung imCapitol Theater, Düsseldorf, ehrte der FAW Ende April die Gewinner seines Wettbewerbs PlakaDiva 2015. Unter den Prämierten finden sich erneut große Marken wie adidas, BMW, eBay, Fanta und Lufthansa. Alle Preisträger stehen für kreative Out of Home-Lösungen auf höchstemNiveau – perfekt imArtwork, innovativ in der Mediennutzung, herausragend in der Umsetzung. Out of Home auf höchstem Niveau Gold für die beste Mediastrategie: Um adidas zur meist beachteten Marke der Fußball-WM 2014 zu machen, entstand „die erste voll reaktive Markenkampagne in Social, Digital und Out of Home“. Gold für die beste Innovative Nutzung: Das Land Sachsen-Anhalt warb im Umfeld von Gymnasien mit Deutschlands erster WhatsApp-Kampagne zur Studieninfo.

22 OOH!–Kreation & Kreativität Deutschland PlakaDiva 2015 – alle Gewinner auf einen Blick Motiv /Kampagne Kunde Agentur Spezialmittler Kreation OOH Bronze Fanta – Deutschland braucht mehr FANTAsie Coca-Cola GmbH Ogilvy & Mather Werbeagentur GmbH MediaCom Agentur für Media-Beratung GmbH Kinetic Worldwide Germany GmbH Silber BMW X4 – Moiré Plakat BMW AG Serviceplan Campaign Hamburg GmbH Mediaplus. Agentur für innovative Media GmbH & Co. KG Jost von Brandis Service-Agentur GmbH Gold Hauptsache wach fritz-kulturgüter GmbH Rocket & Wink GbR Sonderpreis Gold The Fading Portraits Projekt Amnesty International – Sektion der Bundesrepublik Deutschland e. V. Preuss und Preuss GmbH Innovative Nutzung OOH Bronze Lufthansa – Markenimpulse Flughafen Deutsche Lufthansa AG Kolle Rebbe GmbH Mindshare GmbH Kinetic Worldwide Germany GmbH Silber eBay – Dynamic live feed integration eBay International AG add2 GmbH MediaCom Agentur für Media-Beratung GmbH Kinetic Worldwide Germany GmbH Gold Deutschlands erste WhatsApp- Kampagne zur Studieninfo Ministerium für Wissenschaft und Wirtschaft des Landes Sachsen-Anhalt Interone Düsseldorf GmbH Ketchum Pleon GmbH Mediastrategie OOH Bronze Wir sprechen eine Sprache Ortel Mobile GmbH vondersteinreys GmbH Carat Deutschland GmbH Posterscope Deutschland GmbH Silber Planet der Affen: Die atemberaubende Media-Revolution Twentieth Century Fox of Germany GmbH Vizeum Deutschland GmbH Posterscope Deutschland GmbH Gold all in or nothing adidas AG TBWA Group Germany Carat Deutschland GmbH Posterscope Deutschland GmbH Quelle: Fachverband Aussenwerbung, März 2015 Sonderheft mit allen Gewinnern von PlakaDiva 2015 Interview mit Michael Preuss zu den Chancen des „Fading Portraits Project“ in Cannes Gold für die beste Kreation bei PlakaDiva 2015: Die Plakatkampagne „hauptsache wach“ inszeniert das Produktversprechen von fritz-kola mit „vielviel koffein“ – witzig, schnell, plakativ und hoch individuell. Sonderpreis in der Kategorie Kreation für das Fading Portraits Project von Amnesty International: Mit Wasser auf die Straße gemalte Bilder Verschwundener prangern Gewaltregime an.

23 OOH!–Kreation & Kreativität Deutschland Raketenmann und Naturbursche Hinter einer verrückten Fassade verbirgt sich ein Duo, das die Werbebranche aufmischt: Rocket & Wink ist die momentan so ziemlich angesagteste Agentur Deutschlands.

24 OOH!–Kreation & Kreativität Deutschland Jüngstes Designprodukt von Rocket & Wink ist der tragbare Plattenspieler Rawman 3000. Da habe man sich mal wieder selbst übertroffen, schwärmen die Macher. Es gebe nichts, mit dem man die außergewöhnliche Ton-Qualität dieser kleinen Maschine vergleichen könne. Der Rawman 3000 wird in knalligen Farben und drei unterschiedlichen Größen gezeigt. Fraglich ist nur, ob er tatsächlich jemals zu kaufen ist. Auf der Homepage steht: Erhältlich ab Juni 1983. Dieses Spiel mit Illusion und Wirklichkeit, diese Lust am Blödsinn ist typisch für die 2011 gegründete Agentur Rocket & Wink. Das fängt schon bei den beiden Inhabern an. Dr. Gerald Rocketson und Petronius Amund Wink haben für sich die Alter Egos Rocket & Wink erfunden. Sie treten öffentlich nur in der verrückt anmutenden Maskerade als Raketenmann und Naturbursche auf – der eine trägt einen blank polierten Helm, der andere eine Fliegerbrille und auf dem Rücken ein Tragegestell. Die „Bild Zeitung“ wollte einmal wissen, was passiert, wenn man sie ohne Maske fotografieren würde. Über einen Sprecher ließen die beiden antworten, dies sei dann vermutlich das Ende des Fotografen. Erfolge in der Welt oberhalb von Airbrush Nun könnte man diese schräge Maskerade als weitere Spinnerei einer an Spleens nicht gerade armen Branche bezeichnen. Doch Rocket & Wink sind eben nicht nur PR-Meister in eigener Sache, sondern auch ungewöhnlich erfolgreich. Sie haben in den letzten Monaten so ziemlich alle Kreativ-Preise abgeräumt, die in der Branche zu vergeben sind. Man habe alles gewonnen, was man in der Welt oberhalb von Airbrush gewinnen könne, heißt es in einer Eigendarstellung: Über 300 Awards von ADC bis Cannes, von Eurobest bis Red Dot, von Clio bis New York Festivals. Sie wurden vom Art Directors Club Deutschland (ADC) Anfang 2014 als erfolgreichste Nachwuchs- agentur ausgezeichnet, ihre Arbeiten wurden imMuseum für Kunst und Gewerbe, Hamburg, ausgestellt. Als „Mischung aus Krach und laut mit einem Augenzwinkern“ beschrieb der Leiter der Grafiksammlung, Jürgen Döring, das Werk des Duos. Zu denWerken zählen Plattencover und Bücher, das eigene Magazin „Whatever“, aber eben auch Arbeitern für Markenartikler wie beispielsweise fritz-kola. Die Referentenliste reicht von der ARD über Görtz und Nike bis hin zu Universal Music. Man suche Aufgaben, die in kein Briefing passen, steht auf der Website. Auch das Eigenporträt offenbart diese Mischung aus Spaß am Quatsch und Spaß an der Arbeit. „Rocket &Wink. Für Kunden, die eine zart-zitternde Nektaraufnahme eines haselnussgroßen Kolibris an einer Riesenlobelie ebenso schätzen wie ein wuchtiges Aufstoßen eines Mammuts, das soeben ein fettiges Gericht aus Elvis’ Kochbuch vertilgte.“ Dazu passt ihr Claim: „Das Beste ohne Reste.“ Werbung sollte so mutig sein wie Kunst Als die Agentur im April auf der PlakaDiva für ihre Plakate zur fritz-kola-Kampagne „Hauptsache Wach!“ mit Gold ausgezeichnet wurde, erschienen Rocket &Wink nicht persönlich. Sie grüßten aber über ein Video, auf dem sie in einer unbekannten, chinesisch anmutenden Sprache quatschten. Das Ganze wurde mit Untertiteln übersetzt, die übermittelten Aussagen waren eher sinnfrei, belegten aber ihr großes Gespür für komische Momente. Der Mix aus hoch kreativen Arbeiten für Kunden und der Mut zu außergewöhnlichen Kampagnen hat Rocket &Wink inzwischen eine große Fangemeinde beschert. Ihr Facebook-Auftritt hat 5.000 Fans, ihr Whatever Design Magazin auf Facebook weitere 2.000 Fans. Es gibt einenWeb-Shop, auf dem eigene Designarbeiten, handsignierte Siebdruckarbeiten, Bücher und Shirts verkauft werden, sozusagen der Übergang zwischen Kunst und Kommerz. Sollte also Werbung Kunst sein? „Nein“, sagt Wink im Interview mit OOH!. „Aber Werbung sollte genauso mutig sein wie Kunst.“ Auch Rocket verneint: „Kunst will, soll und darf ja nichts verkaufen. Und imUmkehrschluss ist das Verkaufen die einzige Daseinsberechtigung der Werbung.“ Helmut van Rinsum

25 OOH!–Kreation & Kreativität Deutschland Fünf Fragen an Rocket & Wink OOH!: Ist Rocket & Wink eine Werbeagentur? WINK: Nein. Rocket &Wink ist ein Design-Büro. Wir gestalten und entwickeln alles, was uns in die Hände kommt. Wenn die Kunden uns vertrauen und uns machen lassen, dann machen wir auch Werbung. Aber eben auf unsere Art. ROCKET: Ich sehe uns wie eine Kreativ-Agentur mit Schwerpunkt Design. Wenn die Aufgabe interessant ist und man uns Freiheiten lässt, machen wir fast alles. Das kann dann auch in Produktdesign oder Film-Treatments enden. OOH!: Welche kreativen Aufgabenstellungen sind für Sie eine Herausforderung? WINK: Jede Aufgabe sollte eine Herausforderung sein, sonst würde es langweilig werden. ROCKET: Ja, sehe ich auch so. Langeweile oder gar Stillstand bei der kreativen Entwicklung wäre fatal. Die Herausforderung bei jedem Job sollte sein, dass man immer wieder was komplett Neues kreiert und natürlich dem Produkt oder der Aufgabe dienlich ist. OOH!: Warum treten Sie öffentlich nur verkleidet auf? Was für ein Statement verbirgt sich dahinter? WINK: Wie? Verkleidet? Wir sind Rocket & Wink, und in der Öffentlichkeit bekommt man auch nur Rocket &Wink zu sehen. Sie fragen ja auch nicht Micky Maus „Warum treten Sie in der Öffentlichkeit immer verkleidet auf?“ Unser Design, unser Auftreten, unsere Arbeiten sind ein Gesamtpaket. ROCKET: muarhararar OOH!: Wenn Sie typische Plakatwerbung sehen oder einen Werbeblock im Fernsehen, wie beurteilen Sie dann den Zustand der Werbung in Deutschland? WINK: Langweilig. Kein Kunde möchte etwas riskieren. Bloß keine Zielgruppe vergraulen. Alles ist gleich, es müssen nur die Absender und CI-Farben ausgetauscht werden. ROCKET: Ganz ehrlich – wenn ich Werbung im Fernsehen sehe, bin ich endgenervt und will nur, dass diese dämliche Penetranz sofort aufhört … Das betrifft aber nicht nur die deutschen Werbeblocks. Klar gibt es auch mal Ausreißer, bei denen man denkt „oh ja, so schlecht jetzt nicht, kann man machen, ganz lustig“ – aber wie gesagt: Ausreißer. Bei deutschen Werbeblöcken bleibt bei mir dann im Prinzip auch nichts hängen, außer vielleicht: „Meister, wieso heißen eigentlich Deutschländer Würstchen Deutschländer?“ OOH!: Sollte Werbung Kunst sein? WINK: Nein. Werbung sollte genauso mutig sein wie Kunst. In Agenturen gibt es zu viele Leute, die überall mitreden wollen, um eine Daseinsberechtigung zu haben. So wird alles verwässert, denn zu viele Köche verderben den Brei. Kunst ist intuitiv und aus dem Bauch heraus. Oder haben Sie schon mal einen Künstler gesehen, hinter dem ein Art-Director steht, hinter dem ein Kreativ-Director steht, hinter dem ein Geschäftsführer steht, vor dem ein Kunde steht? Nö. ROCKET: Nein. Kunst will, soll und darf ja nichts verkaufen. Und imUmkehrschluss ist das Verkaufen die einzige Daseinsberechtigung der Werbung. Helmut van Rinsum (das Interview wurde schriftlich geführt) Wir sind ein Gesamtpaket

26 OOH!: Was waren für Sie die wichtigsten Trends für Outdoor? KOLLE: Der Trend für das klassische Plakat ist seit 100 Jahren derselbe und lautet: Mach es einfach und plakativ. Drei Worte sind gut, gar keine Worte noch besser. Der wichtigere Trend heißt aber, Digital und Plakat haben geheiratet. Dadurch entstehen unglaubliche Innovationen wie das Billboard von British Airways am Piccadilly Circus oder unser Misereor „PlaCard“. OOH!: Gewinnt Ambient aus Ihrer Sicht an Bedeutung? KOLLE: Ambient ist gut, weil jeder Ort, an demman keine Werbung erwartet, eine besonders starke Wirkung erzielt. Ein gutes Beispiel dafür ist, die Grand Prix-Arbeit „ANZ GAYTMs“ vonWhybin\TBWA Group Melbourne für die Bank ANZ. Eine tolle Ambient-Maßnahme, weil hier auch die Haltung der Bank kommuniziert wird. OOH!: Gibt es Ecken auf der Welt, die Outdoor besser verstehen als der Rest? KOLLE: Neben Australien, Großbritannien und China sind vor allem die Südamerikaner traditionell in dieser Disziplin stark. Verblüffend war etwa die Installation „Almost Identical“ imMuseum of Contemporary Art, Buenos Aires, von Del Campo Saatchi & Saatchi aus Argentinien für den Kunden Beldent. Stefan Kolle ist Geschäftsführer Kreation bei Kolle Rebbe, Hamburg. Awards pflastern seinenWeg, noch ist kein Ende in Sicht. Vor rund 20 Jahren gründete er mit Stephan Rebbe eine eigene Werbeagentur. Seitdem hat sich das Team zu einer der bekanntesten inhabergeführten Kreativschmieden des Landes entwickelt, mit aktuell mehr als 260 Mitarbeitern. Kolle selbst gilt als einer der innovativsten Köpfe der Branche. Im letzten Jahr besuchte er Cannes nicht alleine, um erneut einen Lion nach Hause zu begleiten, er saß auch in der Jury für die Kategorie Outdoor. Eine andere Perspektive, über die er hier berichtet. OOH!: Im letzten Jahr waren Sie Jurymitglied bei den Cannes Lions. Haben Sie sich auf diesen Job besonders vorbereitet? KOLLE: Ich habe mich mit Kreativen aus 17 Ländern durch rund 5.700 Outdoor-Arbeiten von morgens um 9 Uhr bis nachts um 12 Uhr gekämpft. Die beste Vorbereitung für solch einen Marathon ist, sich in Geduld und imDurchhalte-Vermögen zu üben. Und keinesfalls an jedem Abend um 12 Uhr irgendeine Party zu besuchen. OOH!: Wie waren das Arbeiten und die Stimmung vor Ort? Hat man sich mit anderen Juroren ausgetauscht? KOLLE: Wenn man 5 Tage über 12 Stunden lang in einem Raum sitzt, lernt man sich sehr intensiv kennen. So intensiv, dass ich bis heute zu vielen fantastischen Kollegen aus der Jury Kontakt habe. OOH!–Kreation & Kreativität Deutschland Digital und Plakat haben geheiratet Weltweite Anerkennung kreativer Highlights bestärkt Kunde, Agentur und Nachwuchs, sagt Stefan Kolle, Cannes-Juror und -Preisträger 2014.

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